Ist das Glas halbvoll oder halbleer?
Menschen sind wie alle Säugetiere, ja vermutlich alle Lebewesen, defizitorientiert. Negative Eindrücke ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich als positive. Negative Informationen, Tragödien und Katastrophen fesseln mehr, als Berichte über erfreuliche Ereignisse. Negative Motivation ("Weg-von") ist - wie viele am eigenen Leib bedauerlicherweise nachvollziehen können - stärker als eine positive ("Hin-zu"). Im Falle einer lebensbedrohlichen Situation war es in der Evolution offensichtlich und nachvollziehbarerweise sinnvoll, sehr schnell auf negative Stimuli zu reagieren und schon entsprechenden Vorzeichen ausreichend Aufmerksamkeit zu widmen. Da die Richtung unserer Aufmerksamkeit aber auch durch unser Erleben bestimmt ist, ist die dauernde Ausrichtung auf mögliche negative Ereignisse nicht Quelle unseres Glücks. Der Mensch ist nun wohl das einzige oder zumindest eines der ganz wenigen Lebewesen, das sein Bewusstsein dazu nützen kann, die eigene Aufmerksamkeit vorsätzlich vermehrt auf Chancen als auf Gefahren auszurichten. Dabei ist es uns nicht möglich die grundlegenden und lebenserhaltenden Mechanismen unseres Gehirns zu unterdrücken, aber sehr wohl in vielen Bereichen alternative Deutungen und Handlungen zu entwickeln. Tiere und Menschen in extremen Stresssituationen haben nur die archaischen Reaktionsmuster zur Verfügung (Cannon):
- Angriff
- Flucht
- Totstellen
Man könnte nun die verlängerte Zeitspanne zwischen einem auftretenden Reiz und einer Reaktion als DIE evolutionäre Entwicklung des Menschen deuten. Wir können uns (manchmal) auch anders entscheiden. Aufbauend auf einer Wahrnehmung und Benennung unserer Emotionen als bewusster Akt unbewusst auftretender Signale unseres Körpers, gewinnen wir Handlungsfreiheit um unser (aus gutem Grund) defizitorientiertes Erbe zu überwinden. Wir können in einem Problem die Chance sehen.
Menschen reagieren auf Andersartigkeit ängstlich. Wir reagieren auf Menschen anderer Herkunft, die sich im Äußeren unterscheiden, vorsichtig. In diesem Sinne ist Xenophobie, die Angst vor dem Andersartigen durchaus auch angeboren. Doch diese Grundlage muss keineswegs handlungsleitend sein. Durch entsprechende Vorbildwirkung und Aufklärung kann man diesem mittlerweile überholten genetischen Programm entgegentreten und es "korrigieren".
Das wird durch die grundlegende Funktion im menschlichen Gehirn der "Neuroplastizität" ermöglicht. Der Fähigkeit sich durch Erlebnisse zu verändern. Dazu bedarf es entsprechender Erfahrungen und schlussendlich einiger Übung. Die Vermittlung dieser Erfahrungen und das Einüben von alternativen Reaktionen stellt die Basis der "Positiven Fokussierung" dar.